Erinnert man sich an die klassischen Entwürfe zu ‚Religion und Gewalt‘, etwa an Freud, Lacan und Lorenz oder Burkert, Girard und Assmann ist im Rückblick manches auffällig: die Thematisierung von Gewalt geschieht vor allem ‚von außen‘, oft als externe Religionskritik, also in polemischer Absicht; aber wie Girard oder Levinas zeigen, ist das mitnichten notwendig. Meist wird ein erstaunlich genereller, homogener und kontinuierlichen Religionsbegriff unterstellt, sei es bei Burkert; oder ähnlich generell, aber dualisierend bei Girard (Heiden vs. Juden- und Christentum) oder bei Assmann Monotheismus versus Vernunftreligion. Auffällig ist auch, daß bei den ‚Älteren‘ erstaunlich unproblematisch ein Gewaltbegriff vorausgesetzt wird, der im Horizont neuerer Gewaltforschung merklich zu eng erscheint: physische bzw. tödliche Gewalt, sei es der Vater der Urhorde (Freud), Jagd und Opfer (Burkert), der Sündenbock (Girard), Fremde und Feinde (Assmann).
Die übliche Sicht von ‚Religion und Gewalt‘ bleibt vom Primat der Tat und der physischen Gewalt bestimmt und verkennt damit diverse subtilere Formen der Gewalt, nicht zuletzt die potentielle Deutungsgewalt von Sprache, Bildern und anderen Medien. Im Horizont neuerer Gewaltforschung wird die alte These, Monotheismus sei Gewalt oder die (selber nicht gewaltfreie) Generalisierung, Religion sei Gewalt, unplausibel. Gewalt, Gewaltpotentiale und deren Aktualisierungsgeschichten sind weitaus pervasiver. Dann erscheint auch Religion oder auch Monotheismus als voll von Gewaltpotential. Aber das Problem der Gewalt steht quer zur Monotheismus- oder Religionsfrage. Die ‚strikte Kopplung‘ von Monotheismus und Gewalt wird unhaltbar. Nur wird es damit keineswegs ‚komfortabler‘ für die Religion, selbst für den pazifistischen Protestantismus nicht. Denn die beruhigende Wendung ‚sine vi, sed verbo‘ wird zweifelhaft: Gewalt spricht und Sprache ist schwerlich
gewaltfrei.