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Prof. Philipp Stoellger, Prof. Thomas Fuchs, Universität Heidelberg
Prof. Patricia Feise-Mahnkopp, Alanus Hochschule

Religiöse Wahrnehmungsformen und Wahnerkrankungen sind auf phänomenaler Ebene näher benachbart als der intradisziplinäre Blick im Allgemeinen bemerkt. Zugleich bestehen Differenzen, die erst in interdisziplinärer Perspektive sichtbar werden. Beide Implikationen, Interfe- wie auch Differenzen religiöser und pathologischer Wahrnehmungsformen, sind noch nicht hinreichend erforscht. Vor diesem Hintergrund sucht die Projektinitiative sowohl mit Hilfe intradisziplinärer systematischer und praktischer Untersuchungen als auch mit Hilfe einer interdisziplinären Analyseperspektive Abhilfe zu schaffen. 

Koordiniert werden Philosophische Psychiatrie und Psychotherapie (Fuchs), philosophische und therapeutische Phänomenologie (Feise-Mahn-kopp) und evangelische Theologie: Dogmatik und Religionsphilosophie (Stoellger). Zusammengehalten und fokussiert werden die fachlichen Einzelperspektiven durch Thema, Methode und Material. D.h. die Interferenzen religiöser und pathologischer Wahrnehmungsformen (Thema) werden mit phänomenologischen Ansätzen (Methode) in Auseinandersetzung mit Bild- und Textwerken der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg (Material) untersucht.

Mit Hilfe hermeneutisch-phänomenologischer Methodik werden exemplarische Darstellungen bzw. Verkörperungen von religiösen Wahrnehmungen und ihre Deutungen erforscht, bei denen aus religionsphilosophischer, psychiatrischer und theologischer Sicht zu fragen ist, ob sie pathologische Züge aufweisen, ob umgekehrt in psychopathologischen Wahrnehmungen entsprechend relevante religiöse Züge auftauchen und wie diese sich zueinander verhalten (Interferenz, Differenz, Nähe, Chiasmen etc.).

Da hinsichtlich der Differenzen und Interferenzen von religiösen und pathologischen Wahrnehmungsformen noch kaum Untersuchungen vorliegen, eignet dieser Initiative hohe theoretische und praktische Relevanz sowie ein entsprechendes Innovationspotential. Im Zusammenspiel der intradisziplinären Erträge – d.h. Erhebung, Analyse und Reflexion der Wahrnehmungsformen aus (1) philosophisch- und therapeutisch-phänomenologischer, (2) psychiatrisch-psychotherapeutischer sowie (3) theologisch-religionsphilosophischer Sicht – wird ein historisch wie systematisch vertieftes Verständnis der Interferenzen religiöser und pathologischer Wahrnehmungsformen erarbeitet werden. Dem Forschungsvorhaben kommt zudem hohe Anwendungsrelevanz zu (u.a. seelsorgerlich-psychotherapeutisch) sowie im Hinblick auf gesellschaftspolitische Dimensionen. Dazu bedarf es zunächst begrifflicher und theoretischer Klärungen, u.a. der Differenzierung von ‚pathisch‘ und ‚pathologisch‘. Dabei muss reflektiert werden, wie sich Theologie, Religionsphilosophie und philosophische Ästhetik zur Psychopathologie verhalten. Diese Zusammenhänge sind materialiter kontrolliert nur exemplarisch zu bearbeiten. Darin gründet die Beschränkung auf die primäre Materialbasis der Sammlung Prinzhorn. 

Jürgen von Hagen, Michael Welker, John Witte, Stephen Pickard (Eds.), The Impact of the Market on Character Formation, Ethical Education and the Communication of Values in Late Modern Pluralistic Societies (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2020).